Isolierte Betrachtungsweisen überwinden: Erkenntnisse aus der Stadtplanung für das Recruitment.


Der Ziel dieses Artikel ist es, aus den Erkenntnissen anderer Abteilungen und sogar anderer Branchen für die Eigene zu profitieren. Denn die Ursachen von Herausforderungen sind oft gleich. Wie einfach das Übertragen von Kenntnissen auf ganz andere Geschäftsbereiche ist, zeigt die folgende Analyse: vom Städtebau für das Recruitment.


Der weltweit renommierte Städtplaner Prof Albert Speer (gestorben mit 83 in 2017)  geht im Folgenden auf die Ursachen der Disaster von Großprojekten vor allem für den Berliner Flughafen ein. Als weitere Beispiele benennt er die Hamburger Elbphilharmonie, Stuttgart 21 oder das damalige Debakel des Berliner Hauptbahnhofs.

Erkenntnis: Allein die Tatsache, dass er dies ausspricht, was kein anderer Architekt zu sagen wagte, zeigt sein Mut zur Wahrheit. Wieviel Mut zur Wahrheit werden einem neuen Mitarbeiter abverlangt, wieviel ist gewünscht?


„Das eigentliche Übel liegt darin, dass diese Aufgabenstellungen in ihren Anfangsphasen nicht gründlich genug untersucht werden und dass zu wenig Zeit und Geld in die Vorbereitungen investiert werden. Schon da fallen die Probleme an.“

Erkenntnis: beginne mit einer genauen Stellenbeschreibung: was sind die genauen Tätigkeiten und den daraus zu erwarteten Ergebnisse?


„Das Gefühl der Verantwortlichen und der Politiker unendlich viel Zeit zu haben“.

Erkenntnis: Ressourcen sind zu begrenzen: Zeit, Geld, Mitarbeiter; Auch in der Mitarbeitergewinnung gibt es  nicht unendlich viele Bewerber. Wenn doch und diese verlangt sind, dann läuft etwas schief.   


„Wir haben erst mal das Ganze strukturiert, und aus dieser Struktur heraus ist die Entscheidung gefallen“.

Erkenntnis: eine Entscheidung benötigt eine Struktur, wie eine systematische Vorgehensweise eines Vorstellungsgesprächs für alle Interviewer, aus dem eine gemeinsame Entscheidung abgeleitet werden kann.  


Speer befürwortetet den Flughafen weit aus Berlin rauszulegen und mit dem Transrapid anzubinden. Die Politik entschied dagegen, da der Flughafen in den Grenzen Berlins erstellt werden sollte.

Erkenntnis: „die großen Fehler werden am Anfang gemacht“ (Speer); Es gibt keine Grenzen, was eine Person oder Organisation erreichen kann, wenn sie nicht auf den Lorbeeren besteht.  


Zwei Jahre nach Baubeginn des Flughafens fiel dem Auftraggeber auf auch Umsätze im Berliner Flughafen über Geschäfte, Hotels und Restaurants  generieren zu wollen, so wie es seit 20 Jahren für Flughäfen die Regel ist.

Erkenntnis: Projekte wie auch Mitarbeitergewinnung müssen strukturiert, organisiert und durchdacht sein, damit Offensichtliches nicht verloren geht.  


Auf feste Termine ist hinzuarbeiten. Das gilt besonders für Großprojekte. Als Konsequenz wird dann  eine Menge improvisiert, dass eigentlich nicht fertig war. Aber das hatte was.

Erkenntnis: Die Kunst zu improvisieren kann Kräfte freisetzen und bei Kandidaten als auch bei Arbeitgebern tief blicken lassen.


Grundfrage: Wie sieht eine Hauptverwaltung in zehn Jahren aus? Welche Arbeitsplätze habe ich? Diese Frage wurde vorab gemeinsam mit verschiedenen Interessengruppen besprochen. Dann erst die Architektenauswahl, der Wettbewerb und der Stadtratsbeschluss. Auf dieser soliden Grundlage kann man bauen, ohne ständig zu befürchten, das oder jenes vergessen zu haben.

Erkenntnis: mit allen Akteure auch aus anderen Abteilungen die Tätigkeiten und die daraus zu erwarteten Ergebnissen für die Stellenbeschreibung abstimmen.


Architekten und Ingenieure lernen in ihrer Ausbildung nach Vorgaben abzuarbeiten und nicht Aufgaben mit der Politik beratend gemeinsam zu gestalten.

Erkenntnis: Führungskräfte erarbeiten Stellenprofile mit. Vor allem im Sinne von Haupttätigkeiten und deren erwarteten Ergebnisse. Genauso werden Bewerber geprüft, wie sie an bestimmte Arbeiten herangehen, um erst einmal zu verstehen, wie der Kandidat versteht, was verlangt wird.


Wenn man die Aufnahmen des Berliner Flughafens von Gerkan sieht, hat man das Gefühl, das kann eine Staatskanzlei sein oder die Hauptverwaltung eines Konzerns sein. Aber das, was einen Flughafen ausmacht,  Flexibilität,Erweiterungsmöglichkeit und Veränderung - davon ist nichts zu sehen.

Erkenntnis: der Fokus sollte darauf liegen warum und wie ein neuer Mitarbeiter die Arbeit verrichtet, nicht was er tut.


Zur Überbauung des Gleisgeländes am Zürcher Hauptbahnhof: wir schnüren die Phantasie zu sehr und zu schnell ein und hängen zu sehr an einmal Festgelegtem.

Erkenntnis: die Vorstellung wie ein Kandidat zu sein hat, ist oft zu festgelegt, so dass diese Vorstellung Talenten mitunter wenig Raum lässt.  


„Man solle das Projekt einstampfen und stattdessen die Gleisanlagen freilassen und an beiden Seiten Flächen bebauen. Was meinen Sie, wie viel Geld da schon ausgegeben worden war! Und doch ist es zum großen Teil in Zürich so gemacht worden“.

Erkenntnis: wie würde ein Bewerber als Programm Manager sich verhalten sollen, wenn seine Projekte innerhalb Zeit und Budget sind, er aber realisiert, dass sie dem übergeordneten Ziel nicht dienen?  


„Mein Eindruck ist der, dass die Politiker von Fachleuten nicht offen und wegweisend genug beraten werden und dass wir Architekten uns viel zu schnell auf Sachzwänge zurückziehen“

Erkenntnis: wieviel Freigeist, Vision, Ehrlichkeit ist gefördert und gefordert? Der größte Hinderungsgrund ist Angst.


„Ich würde den großen Teil der Schuld schon auf unserer Seite sehen. Dass wir zu schnell auch aufgeben. Meine Studenten habe ich immer darauf eingeschworen: Es gibt keine Sachzwänge. Sondern als Architekt muss man alles hinterfragen. Wenn sich am Ende herausstellt, es ist doch so, dass es nicht geht, dann geht es nicht.“

Erkenntnis: Hinterfragen, wieviel lässt ein Unternehmen zu, wieweit  wird es gefordert? Zu welchem Grad des Hinterfragens ist der Kandidat bereit und in der Lage?


„Es ist tatsächlich so, dass wir in einem Wust von Vorschriften versinken, die kein Mensch mehr überschauen kann. Irgendwo habe ich gelesen, dass es inzwischen zwanzigtausend DIN-Normen gibt, wenn du ein Einfamilienhaus baust. In China, wo wir in Schanghai im Stadtteil Anting eine Automobilstadt für fünfzigtausend Einwohner planen, hatte man den Mut, uns für chinesische Verhältnisse absolut unmögliche geschwungene Straßen durch die Landschaft führen zu lassen“.

Erkenntnis: Ist der Grad der internen Berichte und Anweisungen im Einklang mit dem Mut und Tatendrang des Bewerbers und umgekehrt?


Dir Ursachen der Probleme sind oft gleich. Warum es nicht mehr strukturierte Planung und Vorbereitung jenseits der ISO Normen der Welt gibt, ist nicht verständlich, vor allem wenn man sich der gravierenden Folgen bewusst macht. Alles fängt zunächst bei einem selbst an, bei der Organisation. Wer bin ich, was treibt mich, woran glaub ich, wie setze ich es um und schließlich was kann ich damit machen? Dann kann man rausgehen und diejenigen Finden, die eine gleiche Vorstellung haben. Und damit wird das Zusammenkommen nicht mehr über das „was“, sondern über das „warum“ und „wie“ wir es machen definiert. Und de facto nichts anderes hat der Städteplaner Albert Speer hier erkannt und angesprochen.


Quelle des Interviews: FAZ von 2013